Ein Stimmungsbild vom Erinnern, Wandern, Chillen …
Aus Anlass des 100. Geburtstages des Familienverbandes waren wir schon lange nach Arnoldshain eingeladen, und die Vorfreude begleitete uns. Wer reist nicht gern bei schönstem Frühlingswetter in den ersten Maitagen in den Taunus, der so zentral gelegen eine sternförmige Anreise aus allen Himmelsrichtungen ermöglichte.
Ich komme von Norden her aus Marburg/Lahn mit dem Auto. Gleich hinter Gießen erscheint schon der lange Taunushöhenzug vor den Augen, markant der Feldberg mit seinen Türmen. Auf der Höhe von Bad Nauheim verlässt man die Autobahn, biegt in das liebliche Usatal ab, folgt dem Sträßchen bis Merzhausen. Kirsch- und auch schon Apfelbäume stehen in voller Blüte, die Gärten erfreuen in der Frühlingspracht das Auge. Beim Hinauffahren auf engen und kurvenreichen Sträßchen wächst die Spannung. Ich kenne Arnoldshain noch nicht …
Aber die Gedanken wandern auch zurück. Nachkriegsjahre: Einer der ersten Familientage nach 1937 fand bei uns in Witzenhausen statt, wo unser Vater Karl Spieß damals Pfarrer war. Für uns alle war es ein wunderbares Zusammenkommen mit Tante Leni und ihrer großen Habbelfamilie aus Regensburg, mit Onkel Werner Spieß/Braunschweig und Familie, Onkel Fritz Spieß, dem Admiral a. D. aus Hamburg, auf dessen Spuren wir ja auf dem letzten Familientag in Bremerhaven unterwegs waren, mit Tante Suse Röhrich geb. Gautsch, aus Pommern geflohen zurück nach Hessen. Ich erinnere mich an frohes Beisammensein und einen unvergessenen Ausflug auf den Hohen Meißner …
Doch jetzt erreiche ich das wunderschön gelegene Martin-Niemöller-Haus, das mich so freundlich in seine gepflegte Atmosphäre aufnimmt. Das Schönste am Zimmer ist der herrliche Blick aus dem Fenster gen Westen auf die grünen Wälder und Taunushöhen. Und diese Stille! Man lässt sich als Gast so richtig wohlig fallen in Erwartung und Vorfreude auf den Abend. –
Der Tag neigt sich. Aus der Abgeschiedenheit folgt der Sprung in die Großfamilie. Im Treppenhaus und auf den Fluren trifft man bekannte und unbekannte Gesichter, alle sind fröhlich, es gibt Umarmungen und Hallos.
Der Empfang durch das Haus ist wohltuend. Der Speisesaal ist groß und hell, der Blick geht auch hier weit hinaus ins Grüne. Das Buffet ist von großer Vielfalt und sehr einladend, nette Helfer erfüllen unsere Wünsche. Jeder findet das Seine und ganz bald auch die passenden Tischnachbarn und -gegenüber. Unter großem Stimmengewirr vergeht diese erste Stunde der Erfrischung und Begegnung.
Außer den Spießen sind noch andere Gäste mit uns, Chorsänger und Musikanten zu einer Familienfreizeit.
Für uns folgt als Einstieg in Ort und Zeit der „Abend am Spieß“ mit einem Vortrag über Martin Niemöller, sein Leben, Werk und Vermächtnis, denn wir sind ja zu Gast in dem nach ihm benannten Haus der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau.
Unsere Kusine Agnes Höchbauer aus Parsberg berichtet später mit Lichtbildern aus dem Leben und Werk ihres verstorbenen Bruders Thomas Habbel, des genialen Beobachters, Lehrers und vielseitigen Künstlers seiner süddeutschen Heimat.
Später am Abend dürfen wir uns zurückbesinnen auf die unvergessenen Tage des Familientages in Bremerhaven mit vielen interessanten Fotos von unseren Erlebnissen dort im Norden. Als cantus firmus schwebt über dem Raum das sehr muntere Gemurmel an den verschiedenen Tischen bis zur Neige des Tages und unserer Kräfte …
Der Freitag (6. Mai 2016) begrüßt uns wieder als sehr schöner Frühlings- und Maientag, das lichte Grün, das Vogelgezwitscher, blauer Himmel. Neben der geschäftlichen Sitzung, von der an anderer Stelle geschrieben sein wird, gab es eine unerwartete Überraschung: Die anderen Hausgäste hatten mitbekommen, dass unser Familienverband seinen 100. Geburtstag feierte. Es wurde ein überaus schönes Ständchen gebracht, Chorgesang mit instrumentaler Begleitung, ein richtiges Geschenk!
Eigentlich hätten wir zu dieser Vormittagsstunde unsere Seniorin, Irene Spieß aus Wiesbaden im Alter von 102 Jahren begrüßen wollen. Sie hatte so gern kommen wollen, war aber einige Tage zuvor im Zimmer gestürzt und war ein wenig „neben der Kapp“, wie man in Hessen sagt. Es kamen aber in diesen Vormittagsstunden unser hochverdienter, langjähriger Schatzmeister Vetter Hans-Henrich Spieß und seine Frau Ursula aus Bad Kreuznach und die beiden konnten, trotz mancherlei Beschwernis, viele Stunden am Treffen teilnehmen.
Das übliche Foto wurde im Garten aufgenommen, viel hin und her, wie gewohnt, auch viel Gelächter, man kann gespannt sein, wie es diesmal ausgefallen sein wird.
Der Höhepunkt des Tages, nicht nur tektonisch gemeint, begann am frühen Nachmittag mit dem Ausflug zum Feldberg.
Nach dem Leitspruch „Rast ich, so rost ich“ fand sich eine große Gruppe zusammen, viele Teilnehmer bis weit in die Achtzig. Ich sehe z. B. unsern Vetter Peter Spieß, damals „hoch in den 88“, zielstrebig, und auch noch im munteren Gespräch, vor mir hinaufwandern …
Der Weg verlief meist im Wald oder am Waldrand, erst oben betrat man die lichte Kuppe. Die Sippe verteilte sich „wie die Zicklein auf der grasigen Höhe“. Einige Spieße haben bereits den felsigen Gipfel erklommen. Da das Gestein von den vielen Besuchern sehr glatt gewetzt ist, hielt mich die Vernunft leider vom letzten Aufstieg zurück. Aber der Rundblick ist herrlich: unendliche Wälder gen Westen, die dunstige Rhein-Main-Ebene vor uns und tief unter uns Königstein.
Kaffeeduft lädt ein. Und diese Einkehr lohnt vor allem wegen des völlig neuen Blicks auf unsere Finanzmetropole Frankfurt: Wie das Riesenspielzeug liegt sie, von waldigem Durchblick umrahmt, zu Füßen!
Barbara Kleine geb. Spieß (B 226)
Während die zahlreichen Wanderer voller Tatendrang loszogen, konnten die – auch nicht wenigen – Zurückbleibenden die Nachmittagsstunden gestalten, wie es ihnen am besten gefiel. Einige hielten erst einmal ein Mittagsschläfchen in den sehr schönen Zimmern, von denen man zum Teil einen herrlichen Blick auf den Feldberg hatte, eine kleine Entschädigung für entgangene Wanderfreuden.
Da das Wetter wirklich schön war, konnten Spaziergänge vom Haus aus gemacht werden, was Einige auch wahrgenommen haben. Anschließend war die Terrasse ein schöner Platz für den Nachmittagskaffee, in der Sonne oder im Schatten eines der großen Schirme. Viele vertraute Gesichter, zum Teil seit Jahren nicht mehr gesehen, konnten wiederbegrüßt werden und neue Kontakte gefunden werden. Es kamen auch immer noch Nachzügler an, freudig begrüßt. Fragen nach dem Ergehen in der Zwischenzeit und Erinnerungen gingen hin und her. So verging dieser schöne Nachmittag bis zur Rückkehr unserer tapferen Wanderer, die lebhaft erzählten von ihren Erlebnissen auf Schusters Rappen. Dann musste man sich bereits für das Abendessen fertig machen.
Monika Schäfer geb. Spieß (B 274)
Nach gelungener Wanderung hinunter von den Taunushöhen lockte Entspannung horizontal im eigenen Zimmer oder beim Gespräch und zum Bericht bei den Daheimgebliebenen auf der Terrasse.
Der Abend brachte uns dann die eigentliche Geburtstagsfeier, die Besinnung auf den Anlass zur Gründung des Verbandes. Dazu stellte Mechthild Gunkel die sieben Vereinsgründer in lebendigen Lebensbildern verbal vor. Verbildlicht wurden die Herren im wahren Sinn durch große Portraits aus der damaligen Zeit.
Gerhard Moisel durcheilte in gewohnter Kompetenz und Erzählfreude die wichtigsten Ereignisse der einhundertjährigen Familiengeschichte. Der so prall gefüllte Tag klang aus mit erfrischenden Getränken, dem viel geliebten Wein der „Stammlande“ zum Beispiel, mit Erzählen und mit dem Knüpfen neuer Kontakte, wozu sich sowieso und immer wieder zwischendurch reichlich Gelegenheit bot.
Am Samstag (7. Mai) stand morgens der Ausflug in den Hessenpark auf dem Programm, von dem Agnes Höchbauer im Folgenden berichten wird. Ich selbst nahm auch noch kurz daran teil. Bauliche und kulturelle Schätze unseres Hessenlandes werden in diesem Freilichtmuseum bewahrt und gezeigt. Man wandert weit zurück in die vergangenen Jahrhunderte. Die Stunden dieser Entdeckungsreise waren im Flug vergangen.
Mich rief dann leider ein anderer runder Geburtstag an die obere Lahn: die 30. Eckelshausener Musiktage, an dem Tag gefeiert mit dem Konzert des berühmten Gidon Kremer mit seiner Kremerata Baltica, bei dem ich im Umfeld mithelfen durfte.
Somit übergebe ich hier den Stab an Agnes.
Barbara Kleine geb. Spieß (B 226)
Samstag, 7. Mai: Frühmorgens bei Sonnenschein zu erwachen und dabei den Feldberg vor Augen zu haben ist etwas Wunderbares. Dies aber in dreimaliger Folge genießen zu dürfen, werteten sicherlich alle zum Spieß´schen Familientag Angereisten als Geschenk! Um so mehr an diesem Samstag, wo der Besuch des Hessenparks am Programm stand. Mit dem Bus gelangten wir dorthin. Man konnte zwischen drei angebotenen Themenführungen wählen:
- Frauen in der frühen Landwirtschaft
- Wohnen
- Allgemeine Runden durch das Museumsdorf.
Jeder kam auf seine Rechnung. Interessant war das Eintauchen in das bescheidene, mühsame Leben unserer Altvorderen. Nach Bedarf stand auch ein Rollstuhl bereit. Die Fassaden, die Innenräume, die Arbeitsweise, die wir uns vergegenwärtigten, dies alles hätte auch noch länger dauern können. Selbstverständlich warfen wir auch einen Blick in die Kirche.
Zum gemeinsamen Mittagessen trafen wir uns wieder am Marktplatz in dem stimmungsvollen Obergeschoss vom Wirtshaus „Zum Adler“, was allerdings die Rollatorfahrer in Bedrängnis brachte.
Organisation ist alles! Zwischen drei verschiedenen Speisen konnten wir uns schon bei der Vorbestellung im Bus entscheiden. „Ich kenne meine Pappenheimer“ verlautete der Organisator und markierte die Bestellungen mit drei verschieden farbigen Punkten. So konnte sich jeder sein Menu leichter merken. Au- weia, so weit sind wir schon !!
Bei brütender Hitze eroberten wir uns anschließend die Stadt Bad Homburg. Zunächst ging es in die Erlöserkirche. Dort gab uns der Organist eine musikalische Kostprobe. Er hatte uns um sich geschart auf der Empore. Sodann führte er uns durch das Gotteshaus, wobei er auf Elemente des Jugendstils hinwies, die sich hier fanden.
Nun ergingen wir uns im Kurpark wie anno dazumal die Patienten der Noblesse. So ließen sich auch einige beim Kurkonzert nieder und genossen es. Kaum zu genießen war allerdings das schlecht schmeckende Kurwässerchen, das uns der Brunnen angeboten hatte. Ein wenig erschöpft stiegen wir schließlich in den Bus, der uns wieder zurück nach Arnoldshain brachte.
Der dritte Programmpunkt dieses erlebnisreichen Tages fiel bunt und familiär aus: „Spieße grillen am Spieß“. Das Wetter spielte mit. Wir bedienten uns draußen im Freien am Grill. Es schmeckte vorzüglich. Salate waren vorbereitet, gute Geister wussten um die Schwächen so mancher Spieße und hatten Schokopudding als Nachtisch zubereitet.
Später wurde das Programm drinnen im Saal fortgesetzt. Barbara Spieß hatte hübsche selbstgefertigte Schmuckstücke ausgestellt. Man verweilte noch bei den Fotos der Gründerväter und der diversen Familientage, die von Kurt Spies freundlicherweise bereitgelegt wurden. Anschließend stellten sich die Neumitglieder im Familienverband vor.
Das angekündigte gemeinsame Singen unter Instrumentalbegleitung von Lena Beichler, Paula Kiesewetter und Thomas Tjarks fiel fast zu kurz aus; dafür aber ergaben sich jede Menge Gespräche. Gerne lauschten wir den interessanten Beiträgen der holländischen Spiese sowie des Russischen Zweiges, deren Vertreter aus Oslo angereist waren.
Am Sonntag (8. Mai) – nach ausgedehntem Frühstück, über dem bereits die Luft des Abschieds schwebte – fand der Gottesdienst statt. Pfarrer Paulfried Spies übertrug die „Wurzelpflege“ aus dem pflanzlichen Bereich in das personale religiöse Leben. Wohltuend, wie sich anwesende Jugendliche persönlich äußerten, wortwörtlich: Inneres nach außen kehrten. Margreth Polke wirkte an der Orgel. Das Erinnerungsbild, das wir erhielten, wird jeden an diesen schönen Gottesdienst erinnern.
Wie sollte es anders sein? Das letzte Mittagessen war delikat wie die vorausgehenden auch. Adressentausch und Abschiedsszenen prägten das Schlussbild. [Der neuerdings in Niederbayern lebende Heiner Spies erleichterte meine Bahnfahrt mit Schwester Maria erheblich, indem er den Koffer im Auto mitnahm und ihn meinem Mann in Parsberg an der Autobahnausfahrt aushändigte. Danke nochmals!]
Die Woche nach unserem Familientag im Taunus war durchwoben von Erinnerungen an schöne Begegnungen mit lieben Menschen, von Erinnerungen an bislang mir unbekannte Orte, an aufschlussreiche Reden und – last but not least – an Verwöhnung in einem herrlichen Haus inklusive azurblauem Himmel und nicht zuletzt an einen Gottesdienst als krönenden Abschluss.
Agnes Höchbauer geb. Habbel (B 446)